Die Stationen des ersten Monats China: Kunming – Dali – Shangri-La
1. Von Hanoi nach Kunming
Wir koennen es kaum mehr erwarten nach China zu kommen. Auch die in unser Zimmer integrierte Toilette des Nachbarraumes, mit Waenden, die nicht bis zur Decke reichen und die damit verbundenen Geraeusche und Gerueche, koennen daran nichts aendern.
Die letzte Nudelsuppe in der vietnamesischen Stadt Lao Cai ist geschluerft, dann fahren wir zur Grenze. Mehrere Reisende haben uns vor der zu erwartenden Prozedur und unwillkuerlichen Gepaeckkontrollen – bis hin zu den Fotos auf Festplatten und der Untersuchung der Kamera-Speicherchips, gewarnt. Doch alles verlaeuft freundlich und zeitgemaess – die Einreiseformulare muessen nicht per Hand ausgefuellt werden, sondern werden nach dem Einscannen des Passes direkt von einem kleinen Drucker ausgespuckt. Ein kleiner Schwatz mit dem Zollbeamten, ein kurzer Scan unseres Gepaecks und mit mehreren ueberschwenglichen „Welcome to China“ entlassen uns die Beamten in ihr riesiges Land. Dort beladen wir erneut unsere Raeder, dicht umringt von einer neugierigen Schar Passanten. Einer traut sich dann doch und fragt uns nach dem Woher und Wohin. Der Rest starrt uns an.
Kaum der staubigen Grenzstadt entronnen, beginnt der schoene Teil des Tages. Die Aufregung vor dem Grenzuebertritt hat sich gelegt, die Sonne scheint und bei 30 Grad radeln wir auf der alten Landstrasse immer in Sichtweite des Roten Flusses dem Abenteuer China entgegen. Ein wenig fuehlen wir uns wie an einem Spaetsommertag in dem von uns so innig geliebten Tessin, sanfte Huegel, hohe Berge, ein warmer Wind und fallendes Laub. Und es ist still geworden. Kaum Verkehr, wenig Geschrei. Und noch viel weniger „Hellos“, die beantwortet werden wollen. Entlang des Flusses gedeihen Bananen und Ananas, welche mit Maultieren und kleinen Pferden zu den Sammelstationen transportiert werden. Am Nachmittag erreichen wir einen recht verdreckten Ort, der allerdings seit langem vermisste kulinarische Vielfalt bietet, welcher wir uns hingebungsvoll widmen. Einen schoeneren Empfang konnten wir uns hier nicht vorstellen. Dieser wird auch nicht durch die anscheinend obligatorische Polizeikontrolle am Stadtrand geschmaelert. Die freundlichen Polizisten erproben ihre Englisch-Kenntnisse an uns und statten uns mit mehreren Litern frischen Trinkwassers aus. Wie schon so oft auf unserem Weg gilt auch hier: Die Polizei, dein Freund und Helfer. Zumindest bis jetzt.
Danach fuehrt uns der Weg in die Berge. Die Szenerie ist beeindruckend, die Landschaft von jahrtausendelanger Kultivierung gepraegt. Die Strasse schlaengelt sich durch gewaltige Reisterrassen, bestellt von der ethnischen Minderheit der Yao in ihrer wundervoll farbigen Kleidung und den lampenschirmaehnlichen Kopfbedeckungen. Kleine Haueschen aus graubraunen Lehmziegeln schmiegen sich an die steilen Haenge und immer wieder zeugen Baustellen von der Gigantomanie chinesischer Infrastruktur-Projekte. Da werden bis zu zehnspurige Schnellstrassen durch die Berge gesprengt, Hochtrassen und Tunnel fuer Hochgeschwindigkeitszuege gebaut und, weil es gerade so viel Spass macht, jede Menge Staudaemme errichtet. Zurueck bleiben kleine, nunmehr ruhige Strassen, ideal fuer unsere Zwecke und eine zernarbte Landschaft.
Die Verstaendigung ist nicht gerade einfach. Keiner spricht englisch und unsere muehsam erlernten Brocken Mandarin ernten hier im Sueden Chinas oft nur fragende Blicke. Aber es ist definitiv einfacher als in Vietnam und jede erfolgreiche Vermittlung unserer Wuensche gibt uns neuen Auftrieb, noch mehr Phrasen und Vokabeln zu pauken… Bei dieser Gelegenheit entdecke ich im Woerterbuch, dass „kuanggong“ sowohl fuer „Bergmann“, als auch fuer „blaumachen“ steht! Darueber sollte man mal nachdenken.
In Jianshui beschliessen wir einen Zwischenstopp einzulegen, um uns das wundervolle Staedtchen mit seiner noch immer auffindbaren alten Architektur, dem sagenhaften Essen und entspannten Menschen nicht entgehen zu lassen.
Kurz vor Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan, durchfahren wir eine staubige, trostlose Plastikwelt. Die hier ansaessigen Farmer ziehen im grossen Stil Blumen, in Gewaechshaeusern aus Folie, um der riesigen und stetig wachsenden Nachfrage im Lande gerecht werden zu koennen. Ueberhaupt sind die Vororte um die grossen und groesseren Staedte etwas vom gruseligsten, was man sich so vorstellen kann. Extrem staubig und dreckig schrecken sie potentielle Besucher schnell ab. Grosse Industrieanlagen rangeln um die besten Plaetze, die Schornsteine erbrechen russigen und schwefeligen Qualm in die Luft, Steinbrueche und Kiesgruben hinterlassen unschoene Wunden in den Landschaften und gleich nebenan entstehen modernen Hochhaussiedlungen, die momentan noch niemand bewohnt – Schoene neue Welt!
2. KUNMING
Kunming stoesst uns erstmal vor den Kopf. Geschlagene 7 Stunden verbringen wir damit, eine (auch preislich) annehmbare Unterkunft fuer uns und unsere staehlernen Begleiter zu finden. Alle kleineren und preiswerten Hostels lehnen uns ab. Warum? Ganz klar – sie duerfen nicht. Wieso? Auch klar – wir sind Auslaender – und die haben in staatlich lizensierte und unverschaemt teure Hotels zu gehen. Doch was lange waehrt wird endlich gut und so findet sich dann doch noch etwas, wo sich nicht alle Besucher der Stadt uebereinander stapeln und was auch kein allzu grosses Loch in die Reisekasse reisst. Um die Ecke gibt es Ess-Stuben in Huelle und Fuelle, was besonders mich und meine angespannten Nerven sehr besaenftigt! Eine Woche haben wir nun Zeit, alles zu besorgen und zu organisieren, was fuer die kommenden Monate notwendig erscheint. Die Folge sind ausgedehnte Fussmaersche durch das Zentrum der extrem westlich anmutenden Glitzer-Metropole, von Outdoorladen zu Fahrradladen zu Apotheke, Zahnarzt (ganze 2 Euro fuer 20 Minuten Check und 2 Euro fuers Roentgen), Souvenirmarkt und immerwieder Ess-Stuebchen. Auch das von unserem Freund Nico aus Deutschland zugesandte Paket mit den Wintersachen findet sich dank der Hilfe von Peter und Monique, zwei Englisch-Lehrern deren Adresse wir freundlicherweise benutzen durften, ein. Einen Tag nach unserer Ankunft konnten wir unseren ersten Hochzeitstag feiern – mit Pizza vom Franzosen und Wein aus China.
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3. Auf nach Dali
Packen und weg. Endlich geht es weiter. Wir fahren, nachdem wir den ersten Tag wieder mit den oben beschriebenen Bedingungen in den Vorstaedten zu kaempfen hatten, durch das schoene laendliche Yunnan in Richtung Dali. Hier kann man einen Gang zureuckschalten – zum einen ist das Leben weniger hektisch als in der Stadt, zum anderen liegt nun wieder der ein oder andere Huegel im Weg.
Immer wieder muessen wir die Strassen mit unerwartet vielen LKWs teilen, die sich erstaunlich langsam die bis zu 2500m hohen Paesse hinauf quaelen und uns dabei die Lungen verpesten. Wird die Strasse schlechter, verschwinden sie und wir sind allein mit den herrlichen Ausblicken in saftig gruene Taeler, auf nun weiss getuenchte Bergdoerfer und einem zerbroeselten Strassenbelag, der diesen Namen nicht verdient – „Belag“, das klingt noch relativ eben, aber das, was wir vorfinden erinnert stark an einen Steinbruch oder den Blick durchs Mikroskop auf Grossmutters Streuselkuchen.
Am letzten Abend vor Dali landen wir bei einer chinesischen Familie, die uns mit an ihren Abendbrottisch bittet. Den Ehrenplatz (und die damit verbundenen (Un)annehmlichkeiten) neben dem alternden Familienoberhaupt bekomme ich zugewiesen. Die Privilegien bestehen darin, dass ich mir mein Essen nicht selbst nehmen darf, sondern die in chinesischen Augen „besten“ Stuecke des dampfenden Fleischtopfes vom Grossvater zugewiesen bekomme und wir beide auch die einzigen sind, welche diese anatomischen Kuriositaeten mit Hochprozentigem herunterspuelen duerfen.
Nach dem Essen sitzen die Maenner gemuetlich bei Rauchwerk, Tee und Sonnenblumenkernen zusammen und versuchen, waehrend die Frauen den den Maennern eher unangenehmen Dingen nachgehen, sich gegenseitig verstaendlich zu machen. Da sich auch bei sehr sehr lautem Wiederholen ein und desselben Satzes kein messbarer Verstaendigungs-Erfolg einstellen will, versucht man erst mit Hilfe chinesischer Schriftzeichen, spaeter dann mit dem kleinen gelben Langenscheidt, sein Anliegen verstaendlich zu machen. Zum Schluss einigen wir uns auf die Formel: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ und fahren sehr gut damit.
In Dali erwarten uns, nun bereits zum sechsten Mal auf dieser Reise, unsere Freunde Gabriel und Kyoko, dem geneigten Leser bereits zur Genuege vorgestellt. Zusammen hatten wir eigentlich vor, im nahen Shaolin-Kloster einen Tai-Chi-Kurs zu absolvieren. Nach dem langen Anstieg in flimmernder Hitze betreten wir das herrlich ruhige und kuehle Reich der Moenche – ein Rueckzugsort ganz nach unserem Geschmack. Leider schmecken uns das zwei Seiten lange Regelwerk, die soldatische Klosterordnung, und die anfallenden Kursgebuehren weniger. So bleibt also Zeit, das saekulaere Leben bei ausreichend Schlaf und Futter in Dali zu geniessen.
Vom urspruenglichen Charakter der alten Hauptstadt Yunnans ist dank des chinesischen Massentourismus kaum etwas uebrig geblieben. Eine anhaltende Renovations-Wut erschafft einen nagelneuen Altstadt-Nachbau, komplett mit Stadttoren und Stadtmauer. Besagte Besucher werden mit Elektrovehikeln durch die Stadt gekarrt und von historisch-kostuemierten Damen unterhalten. Trotzdem versprueht die Stadt eine herzliche Atmosphaere und vermag dank der Lage zwischen dem riesigen Erhai-See und den zum Teil noch mit Schnee bedeckten Spitzen der bis zu 4000m hohen „Jadegruenen Berge“ zu beeindrucken.
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4. Von Dali nach Shangri-la
Ein erneuter Abschied von unseren lieb gewonnen Freunden folgt und wir sind wieder zu zweit unterwegs. Aufgrund aufkommenden schlechten Wetters entscheiden wir uns, nicht ueber die Berge Richtung Lijiang, sondern im tief eingeschnittenen Tal des Jangtsekiang auf nur 1800m Hoehe zu radeln. Ab der „Grossen Biegung von Shigu“ folgen wir dem drittlaengsten Strom der Welt fuer einige Tage. Das Tal ist dicht besiedelt und kultiviert, das Radfahren erfordert so wenig Energie wie schon lang nicht mehr, das Auge saettigt sich an Fetzen blauen Himmels, grauen Wolken, tuerkisfarbenem Wasser, sonnengelben Rapsfeldern und hochaufragenden, graubraunen Felswaenden. Die Szenerie aendert sich hinter jeder Kurve, und um so weiter wir nach Norden vordringen, desto deutlicher wird die Tatsache, dass wir uns nun im tibetischen Kulturraum befinden. Die blendend-weissen Stupas, oder Choerten, haeufen sich, bunte Faehnchen flattern im Wind und aufgrund des tibetischen Neujahrsfestes werden wir immer wieder von festlich gekleideten Frauengruppen zum Anhalten genoetigt und bekommen, gegen eine freiwillige kleine Spende, weisse Tuecher um Lenker und Haelse geschlungen und frisches Obst und starken Reisschnaps als Wegzehrung gereicht.
Fuer den letzten Anstieg nach Shangri-La brauchen wir diese Staerkung allerdings auch dringend. Von knapp 1900muM geht es bis auf die Passhoehe vor der Stadt, auf 3600muM hinauf, ganze 1700 Hoehenmeter verteilt auf 40km – eine herrliche Kletterei! In der zweiten Haelfte erwarten uns Schotterpiste, LKW-Verkehr und aufkommender Schnee, um das Ganze noch ein wenig reizvoller zu gestalten. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit rumpeln wir schliesslich in die Altstadt von Shangri-La.
Ein paar interessante Winkel gibt es zu entdecken, die Huegel in der nahen Umgebung bieten fantastische Ausblicke in dramatischem Licht. In der Stadt selbst bleibt wenig zu tun. Hauptattraktion duerften wohl die Souvenir-Laeden und die unueberschaubare Menge an gut sortierten Outdoor-Laeden sein. Allerdings halten wir unserem Stammladen OUTDOORWORKS. de unbedingt die Treue!!!
Das Wetter verschlechtert sich nun zunehmend und wir warten in unserem ungeheizten Zimmer, eingemummelt in unsere Schlafsaecke, bei ausgedehnten Spaziergaengen durch Stadt und die Umgebung oder im nahen Noah’s Cafe am Ofen sitzend noch ein paar Tage ab, um die Weiterfahrt nach Litang zu wagen.
Wir haben also genug Zeit, um in den lokalen Ess-Stuben heissen Yak-Tee zu schluerfen und den Einheimischen beim Essen zuzuschauen, was noch immer zwiespaeltige Gefuehle bei uns ausloest. Tischsitten, die wir aus dem westlichen Kulturkreis gewohnt sind, werden hier ad absurdum gefuehrt. Gelegentliches Furzen, unnachahmliches Rotzen, genuessliches Spucken, geraeuschvolles Schmatzen und den Tisch als Schlachtfeld hinterlassen – hier mag uns das Anpassen noch nicht so recht gelingen. Doch wir arbeiten daran!
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5. Eine Tagesuebersicht ueber Jensers Hauptbeschaeftigung, wenn wir mal nicht radeln: Das Essen
Der Morgen beginnt mit einer wirklich fantastischen Nudelsuppe, gross, wuerzig und mit Nudelbreite nach Wahl = 0.40 Euro
Das zweite Fruehstueck sind zum Beispiel suesse Baotzi, gedaempfte Hefekloesse mit einer Zucker-Erdnuss-Fuellung. Drei Faustgrosse gibts fuer rund 0.10 Euro.
Um die Mittagszeit herum wird es schwierig – zu viel Auswahl! In mannshohen Regalen werden die zur Verfuegung stehenden Gemuesesorten ausgestellt, im Kuehlregal verschiedenste Sorten und Darreichungsformen an Fleisch, Fisch, Eiern, Tofu und Unidentifizierbarem. Man deute nun mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf seine Auswahl und beachte dabei, das pro Wahl ein Gericht kreiert wird – da wird nicht gemixt! Fuer ein fleischloses Gericht wird zwischen 0.60 und 1.00 Euro berechnet, muss ein Tier sein Leben lassen, so faellt das mit 1.00 bis 2.00 Euro ins Gewicht. Reis gibts fuer 0.20 Euro pro Portion dazu, der Tee kostet nix.
Nun wirds langsam Zeit fuer die Zwischenmahlzeit: Eierkuchen fuer 0.30 Euro oder wieder Baotzie, diesmal herzhaft, 3 kleinere Artgenossen kosten 0.10 Euro. Da nimmt man gern auch ein paar mehr.
Der Snack meiner Wahl ist: Spiess mit kleinen, kandierten Aepfelchen oder kandierten Erdbeeren. Pro Spiess werden hierbei je nach Ort 0.20 oder 0.30 Euro berechnet.
Fuer das nun anstehende Abendessen gilt eigentlich das gleiche wie fuer die Mittagsmahlzeit.
Nach dem Abendbrot kommen als Betthupferl noch Kekse ins Spiel (0.25 bis 1.00 Euro pro Packung), oder Eis (0.15 Euro), Joghurt (am besten mit Dattel-Geschmack: 0.15 Euro pro Becher) oder frische Papaya, Ananas, Aepfel, Birnen, Mandarinen und Orangen.
Zwischendurch gibts immer wieder abgefuelltes Wasser (kost nix) und ein paar Becher teuren Instantkaffees (30 Tuetchen fuer je 200ml schlagen mit 2.50 Euro zu Buche)
An Radeltagen steht das Essen eher hintenan, ein nudeliges Fruehstueck, kleines, meist vegetarisches Mittagessen, ein etwas groesseres, Fleisch enthaltendes Abendessen und das ein oder andere Keks muessen hier ausreichen.
Und das wars jetzt! Machts gut…..
Geile Bilder, tolle Texte. Freue mich schon auf die Fortsetzung. Berg heil (die Berge siehen wunderschoen aus). Gute Weiterfahrt… Jirka
So now – into the mountains, and into the past… bonne chance! :-)
toll von euch zu lesen. war vor 1 jahr ende märz in der gegend…ab shongri-la wirds nun saukalt, viel schnee und richtig tibetisch…nehmt euch noch eine zusatzdecke mit!